Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes werden allein in Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Grund genug dagegenzusteuern! Das dachte sich auch Justus Lauten und gründete daher foodforecast: Sein Start-up entwickelt eine künstliche Intelligenz, die bereits bei der Produktion von Lebensmitteln einer potenziellen Verschwendung entgegenwirkt.

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Das darf man durchaus wortwörtlich verstehen, denn neben Themen wie nachhaltiger Energiegewinnung oder Müllreduktion stehen Aspekte rund um die Lebensmittelproduktion ganz oben auf der Agenda. Immer mehr Menschen versuchen, ihren eigenen Weg zwischen Genuss, Konsum und Nachhaltigkeit zu finden. Doch auch wenn 59 Prozent der Lebensmittelverschwendung laut dem Statistischen Bundesamt im privaten Haushalt stattfindet, muss bei der gezielten Bekämpfung dieses Problems über den häuslichen Tellerrand hinausgeschaut werden. Schaut man sich den Einzelhandel an, so gehen 7 Prozent der jährlich weggeworfenen Lebensmittel in Deutschland auf seine Kappe; in der Außer-Haus-Verpflegung sind es sogar 17 Prozent. Demnach handelt es sich hier um ein Problem, dessen Lösung nicht allein beim Endkunden liegen darf.

Eines dieser Start-ups ist foodforecast aus Köln. 2019 noch unter dem Namen werkstatt gegründet, entwickelte CEO Justus Lauten gemeinsam mit zwei studentischen Entwicklern der RWTH Aachen und der Bäckerei Merzenich einen Prototyp der KI, die inzwischen in mehr als 1.000 Filialen in neun Bundesländern Deutschlands zum Einsatz kommt: Anhand von Wetterdaten, historischen Verkaufszahlen sowie Feier- oder Sondertagen berechnet sie exakte Verkaufsprognosen. Dank dieser Prognose kann der Kunde besser planen, welche Menge an Lebensmitteln produziert und bestellt werden muss: „So wandern täglich mehr Lebensmittel über die Theke als in die Tonne. Damit reduzieren wir im Durchschnitt 30 Prozent der Lebensmittelabfälle bei unseren Kunden und steigern ihren Umsatz um 5 Prozent“, erzählt Sophie Knipp, Marketing Managerin bei foodforecast. Seit dem ersten Prototyp der KI vor vier Jahren hat sich viel getan: Inzwischen kann die KI beliebige Zeiträume berechnen und die Zahl der Parameter für das Training ist deutlich größer geworden. Die KI berechnet dabei nicht nur, wie viele Produkte insgesamt an einem Tag benötigt werden, sondern auch in welchem Zeitraum des Tages. So wird einerseits weniger weggeschmissen und andererseits der Umsatz gesteigert, weil immer die Produkte verfügbar sind, die zu dem Zeitpunkt die größte Nachfrage haben. Die Genauigkeit der KI liegt durchschnittlich bei über 95 Prozent.

Doch nicht nur die KI selbst ist gewachsen, auch das Team ist in den letzten vier Jahren von drei Mitarbeitern auf 17 herangewachsen: „Wir sind ein internationales, heterogenes Team aus verschiedenen Fachbereichen. Für uns ist Diversität sehr wichtig, da wir dadurch wachsen“, berichtet Lauten. „Meine Persönlichkeit ist im starken Kontrast zu hitzköpfigen Charakteren wie Steve Jobs oder Oliver Samwer, die lange Zeit als Blueprint für den erfolgreichen Start-up-Gründer galten. Trotzdem haben wir ambitionierte Ziele und wollen schnell wachsen. Das verlangt viel ab von den Mitarbeiter:innen und benötigt eine klare Kommunikation und vor allem Vertrauen“, führt der studierte Informatiker fort. Neben den Mitarbeitern selbst spielen auch Business Angels aus verschiedenen Bereichen eine entscheidende Rolle beim Vorantreiben der Visionen.

In diesen Branchen wird die KI bereits benutzt

In den ersten Jahren fokussierte sich foodforecast vor allem auf Bäckereien, 2023 starteten erste Pilotkunden aus der Gastronomie und mit Supermärkten. Dass es der Gastronomie derzeit an qualifiziertem Personal mangelt, ist kein Geheimnis. Die KI unterstützt an dieser Stelle, da sie die Automatisierung der Bestell- und Produktionsprozesse übernimmt und somit die Mitarbeiter entlastet. Wobei das letzte Wort immer der Mensch hat, der die Vorschläge der KI manuell anpassen kann.

Dieses Team backt längst keine kleinen Brötchen mehr: Mit der selbst entwickelten KI sagt foodforecast der Lebensmittelverschwendung den Kampf an

Wenn ein Betrieb die KI nutzen möchte, muss er sie einmalig an das Warenwirtschafts- oder Kassensystem anbinden. Um die Hürde für seine Kunden – zu denen u. a. die Bäckereien Kamps und Merzenich sowie mehrere Hundert Backtheken von Aldi gehören – so gering wie möglich zu halten, übernimmt foodforecast den Aufwand der Anbindung für den Kunden. Außerdem gibt es eine kostenlose Testphase, bevor ein Vertrag abgeschlossen wird.

Möglichkeiten und Grenzen der KI

Ist eine KI erst mal gut trainiert und wird regelmäßig mit aktuellen Zahlen bespielt, scheint sie ein regelrechter Selbstläufer zu sein. Die täglichen Auswertungen der Prognosen bestätigen dem Team von foodforecast und seinen Kunden den Mehrwert der Technologie, beispielsweise im Vergleich zu manuellen Bestellungen. Die Grenzen der KI sieht Gründer Justus Lauten dort, wo menschliche Kreativität gefragt ist: „Ein Kunde kann beispielsweise seine Theke und die Warenpräsentation umgestalten und dadurch mehr verkaufen. In solchen Aufgaben kann eine KI zwar unterstützen, aber hier sind Intuition und Einfallsreichtum gefragt. Außerdem sind Sicherheit und Datenschutz ein wichtiges Thema. Die Grenze einer KI sollte dort liegen, wo es moralisch bedenklich wird, sie einzusetzen.“

Für die Zukunft hat das Start-up große Pläne: Noch in diesem Jahr möchte es den Umsatz verdoppeln und den ersten internationalen Markt außerhalb von DACH erschließen. Das langfristige Ziel besteht darin, den weltweiten Nahrungsmittelabfall zu bekämpfen und die eigene KI-Lösung dafür einzusetzen, dass weniger Ressourcen und Lebensmittel verschwendet werden.

(Jana Leckel)

 

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe DIE WIRTSCHAFT 01 / 2024

Bildquellen

  • foodforecast Team: Karin Maigut von Maigut Media in Köln
  • Justus Lauten: Karin Maigut von Maigut Media in Köln
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