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Neues EU-Lieferkettengesetz

Was sagt das Institut der deutschen Wirtschaft dazu?

by Redaktion

Das EU-Parlament hat dem Lieferkettengesetz zugestimmt. Demzufolge müssen europäische Unternehmen Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten einhalten. So will die EU gegen Ausbeutung, Kinderarbeit und Umweltverschmutzung vorgehen. Die Strafen können bei bis zu fünf Prozent des weltweiten Umsatzes liegen.

Ursprünglich sollte das Lieferkettengesetz für Unternehmen ab 500 Beschäftigten mit einem globalen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro im Jahr gelten. Das angepasste Gesetz gilt nun für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Die jährliche Umsatzschwelle liegt bei 450 Millionen Euro. In Deutschland ist bereits seit dem 1. Januar 2023 ein nationales Lieferkettengesetz in Kraft. Es galt 2023 bereits für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden. 2024 wurde die Grenze abgesenkt und gilt nun für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern. Die neuen EU-Regelungen fordern trotz der Abschwächung in bestimmten Punkten mehr als das deutsche Lieferkettengesetz. Wie sieht das Institut der deutschen Wirtschaft das neue EU-Lieferkettengesetz? Prof. Dr. Galina Kolev-Schaefer, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Köln und Senior Economist des Instituts der deutschen Wirtschaft, ordnet es aus ihrer Perspektive für uns ein.

DIE WIRTSCHAFT: Wird das neu verabschiedete EU-Lieferkettengesetz mehr die Unternehmen belasten oder mehr zum Schutz der Menschenrechte beitragen? Wo wird es mehr Auswirkungen geben?

Prof. Dr. Kolev-Schaefer: Mit der neuen Lieferkettenrichtlinie verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, Unternehmen zu mehr Achtung von Menschenrechten und Umweltschutz zu verpflichten. Aufgrund der hohen Umsetzungskosten ist jedoch davon auszugehen, dass europäische Unternehmen in der Zukunft Lieferanten aus Ländern mit intransparenten und schwierigen Produktionsbedingungen meiden – das sind vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen Millionen Arbeitsplätze an der europäischen Nachfrage hängen und deren Entwicklungschancen auf die Zusammenarbeit mit europäischen Unternehmen angewiesen sind. Das beobachten wir bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes. Im letzten Jahr sind die deutschen Bekleidungsimporte aus Ländern wie Bangladesch oder Pakistan um mehr als ein Fünftel eingebrochen, während die Importe etwa aus Nordmazedonien, Marokko und Tunesien zunahmen. Zwar wird dadurch die Lieferkette in der deutschen Bekleidungsindustrie sicherlich nachhaltiger, doch die Nachteile sind gerade für die am wenigsten entwickelten Länder hoch. Für sie ist keine Verbesserung der Menschenrechte zu erwarten, wenn die Nachfrage aus Europa einbricht und sie stattdessen Kunden aus anderen Entwicklungs- und Schwellenländern wie China bedienen, die eine geringere Zahlungsbereitschaft mitbringen und seltener nach den Produktionsbedingungen fragen.

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DIE WIRTSCHAFT: Kleine Unternehmen unter 1.000 Mitarbeitern befürchten, auch in die Pflicht zur aufwendigen Dokumentation und Prüfung genommen zu werden, weil ihre Kunden ihnen als Zulieferer die Verantwortung übergeben könnten. Droht ein Wirrwarr der Verantwortlichkeiten? Ein Bürokratie-Dschungel und überproportionale Belastungen?

Prof. Dr. Kolev-Schaefer: In der Tat. Zwar richtet sich die europäische Richtlinie ähnlich wie das deutsche Lieferkettengesetz an große Unternehmen. Doch die Praxis zeigt, dass es für die großen Unternehmen kaum möglich ist, den neuen Verpflichtungen nachzukommen, ohne dabei auf die Angaben ihrer kleineren Zulieferer zurückzugreifen, die dann ihrerseits ebenfalls ihre Lieferkette überprüfen müssen. Eine vom Institut der deutschen Wirtschaft durchgeführte Umfrage zeigt, dass etwa die Hälfte der deutschen Unternehmen direkt oder indirekt vom Gesetz betroffen ist. Auch 48 Prozent der Unternehmen mit bis zu 49 Mitarbeitern geben an, vom Gesetz betroffen zu sein.

DIE WIRTSCHAFT: Wie wasserdicht ist das EU-Lieferkettengesetz? Könnte Korruption ein echtes Problem werden, wenn Missstände in Lieferketten versucht werden zu vertuschen?

Prof. Dr. Galina Kolev-Schaefer, Professorin für
Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Köln und Senior Economist des Instituts
der deutschen Wirtschaft

Prof. Dr. Kolev-Schaefer: Die Europäische Kommission rechnet mit einer Verbesserung der Standards zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in Entwicklungsländern durch die Einführung der Richtlinie. Doch die heutigen Lieferketten sind hochkomplex und es ist kaum möglich, alle Lieferanten, Lieferanten der Lieferanten und auch ihre Lieferanten auf jeder Stufe der Entstehung von Vorprodukten zu überprüfen und zu überwachen. Es ist nicht auszuschließen, dass Angaben inkorrekt gemacht oder gar gefälscht werden. Gerade diese Risiken werden die Unternehmen versuchen zu umgehen, indem sie Länder mit hoher Korruptionsgefahr meiden.

DIE WIRTSCHAFT: Inwieweit bringt ein EU-Lieferkettengesetz eine echte Wende in puncto Menschenrechte? Auch global gesehen?

Prof. Dr. Kolev-Schaefer: Einige Hersteller in Entwicklungsländern werden sicherlich ihre Produktionsstandards anpassen, um die Vorgaben des Gesetzes erfüllen zu können. Doch sie haben auch alternative Kunden und es ist bereits heute so, dass das Engagement Chinas in Ländern wie Bangladesch etwa gemessen am jährlichen Investitionsvolumen um ein Vielfaches dies von Deutschland übersteigt. Somit findet bereits heute eine Verschiebung der Anforderungen an die Produktionsstandards in Sachen Schutz der Menschenrechte und der Umwelt statt und die Einführung der neuen EU-Richtlinie dürfte diesen Prozess weiter beschleunigen. Wenn sich europäische Unternehmen mit vergleichsweise hohen Standards in großer Zahl aus den besonders problematischen Ländern zurückziehen, ist das eher keine gute Nachricht für den Schutz der Menschenrechte.

DIE WIRTSCHAFT: Wie wird der Endverbraucher in Deutschland von dem neuen EU-Lieferkettengesetz profitieren?

Prof. Dr. Kolev-Schaefer: Eines der Ziele der Europäischen Kommission ist es, durch die Einführung der neuen Richtlinie dafür zu sorgen, dass das Verbrauchervertrauen in die Nachhaltigkeit der internationalen Lieferketten steigt. Durch präventives Monitoring sollen die Unternehmen den Verbrauchern versichern, dass die Entstehung der gekauften Konsumgüter nach hohen Standards zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt erfolgt. Da die Unternehmen in der Breite davon betroffen sind und die Umsetzung der Richtlinie mit Kosten verbunden ist, werden jedoch auch die Produktpreise steigen. Und sicherlich wird nicht jeder Verbraucher und jede Verbraucherin der Einführung der Richtlinie zustimmen, wenn er oder sie die mit der Umsetzung verbundenen Herausforderungen für die Entwicklungsländer kennt.

DIE WIRTSCHAFT: Welche Wünsche an ein EU-Lieferkettengesetz hätte das IW noch gehabt?

Prof. Dr. Kolev-Schaefer: Damit die unerwünschten Nebeneffekte eingeschränkt werden, ist es entscheidend, die Unternehmen bei der Umsetzung der neuen Richtlinie zu unterstützen und auch durch Informationen und Kapazitätsaufbau die Entwicklungsländer darauf vorzubereiten. Das könnte etwa durch vereinfachte Fragebögen oder Zertifizierungen von verlässlichen Lieferanten erfolgen. Noch hilfreicher wäre jedoch, die Einführung der Richtlinie aufzuschieben, um aus der Erfahrung in Deutschland und anderen Ländern mit nationalen Lieferkettengesetzen zu lernen, die Ausgestaltung der Richtlinie zu verschlanken und Best Practices zu entwickeln, bevor die gesamte EU-Wirtschaft davon betroffen ist.

(Karoline Sielski)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe DIE WIRTSCHAFT 04 / 2024

Bildquellen

  • Prof. Dr. Galina Kolev-Schaefer: IW
  • david-vives-zLcV9nXr2y0-unsplash: Foto von David Vives auf Unsplash

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