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Emitis Pohl sprach mit Sahra Wagenknecht BSW

by Redaktion
Emitis Pohl sprach mit Sahra Wagenknecht BSW

Emitis Pohl: Neue Parteien entstehen ja nur dadurch, weil die Wähler mit den Angeboten der etablierten Parteien unzufrieden sind. Heisst das, man kann nur mit einem „ausgefallenem“ exotischem Parteiprogramm Wähler gewinnen?

Sahra Wagenknecht: Nein, auf das BSW trifft das überhaupt nicht zu. Wir betreiben keine Klientelpolitik für irgendwelche kleinen Grüppchen oder Lobbies, sondern wollen die Interessen der Mehrheit in diesem Land vertreten. In unserem Programm sprechen wir aus, was sehr viele Menschen in diesem Land denken – etwa, dass man aus Gesundheit und Pflege keinen Profit ziehen darf, dass man nach jahrzehntelanger Arbeit eine armutsfeste Rente erwarten kann, dass Selbständige und kleine Unternehmen nicht mit Bürokratie erstickt werden dürfen oder dass Einwanderung begrenzt werden muss, damit Integration gelingen kann.

Emitis Pohl: Sie sind wie die Linke gegen die Nato. Man stelle sich vor, es gäbe diese nicht, was würde Putin in seinem kaum zu bremsenden Imperialismus noch daran hindern, Europa zu vereinnahmen?

Sahra Wagenknecht: Russland kann vielleicht die Gebiete im Osten der Ukraine erobern, aber doch kein NATO-Territorium, dazu sind sie militärisch gar nicht in der Lage. Ich bin gegen ein Militärbündnis, das sich um das Völkerrecht nicht schert. Insbesondere die USA sehen sich gerne als „Weltpolizist“, der für alle die Regeln bestimmen und im Zweifel mit Gewalt durchsetzen kann. Diese Haltung ist aber mit dem Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens und anderer Länder des Südens völlig aus der Zeit gefallen. Wir leben in einer multipolaren Welt, in der es mehr denn je darauf ankommt, Interessenkonflikte friedlich beizulegen und bei der Bewältigung globaler Probleme zu kooperieren. Umgekehrt denke ich, dass es insbesondere Deutschland ruinieren wird, wenn wir uns in eine neue Blockkonfrontation und in eskalierende Handelskriege mit China hineinziehen lassen.

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Emitis Pohl: Wie muss ein typischer BSW-Wähler ticken, damit sie ihn überzeugen können?

Sahra Wagenknecht: Bei uns im BSW engagieren sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die von der herrschenden Politik enttäuscht sind. Auch jetzt im Wahlkampf treffe ich auf Krankenpfleger, Handwerker, Industriearbeiter, mittelständische Unternehmer, auf Eltern, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen oder auf Rentner, die wegen der hohen Preise nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Im Unterschied zu anderen Parteien sprechen wir nicht nur ein akademisch gebildetes, urbanes Milieu an.

Emitis Pohl: Wie Erdogan war Putin in seinen ersten Amtsjahren zwar auch kein lupenreiner Demokrat, relativ gemässigt, aber mit zunehmender Regierungszeit wurde sein Expansionsdrang immer grösser. Was meinen Sie, was war der Anlass zu solchen Veränderungen?

Sahra Wagenknecht: Ich denke, dass in beiden Fällen gebrochene Versprechen und enttäuschte Erwartungen eine Rolle spielen. Beide Länder haben sich lange Zeit stark nach Europa orientiert. Die Türkei träumte jahrzehntelang von einem EU-Beitritt. Gorbatschow träumte von einem „Gemeinsamen Haus Europa“, in dem sich keine Militärblöcke mehr feindlich gegenüberstehen. Es gab im Zuge der Verhandlungen über die Deutsche Einheit auch Zusagen an Russland, dass die NATO sich nicht nach Osten ausdehnen werde. Diese Versprechen wurden gebrochen und man hat spätestens mit der Einladung an die Ukraine und Georgien, ebenfalls der NATO beizutreten, aus der Sicht Russlands eine rote Linie überschritten. Vermutlich wäre es nie zu einem Krieg gekommen, wenn man auf russische Sicherheitsinteressen mehr Rücksicht genommen hätte. Die militärische Neutralität der Ukraine war und ist ein Schlüssel zum Frieden, das hat sich ja auch in den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland im Frühjahr 2022 gezeigt, die leider abgebrochen wurden. Ich denke, es ist auch eine Folge westlicher Politik, dass Russland sich mehr und mehr von Europa abgewendet hat und nun die enge Partnerschaft u.a. mit China sucht.

Emitis Pohl: Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft?

Sahra Wagenknecht: Ich möchte mit einer starken BSW-Fraktion in den nächsten Bundestag einziehen, um die Politik in unserem Land zu verändern. Wir scheuen keine Regierungsverantwortung, werden aber keine Mehrheitsbeschaffer für ein „Weiter-so“ sein. Wenn wir keine Partner für einen echten Politikwechsel finden, werden wir aus der Opposition heraus die anderen Parteien unter Druck setzen. Auch damit kann man Veränderungen bewirken.

Bildquellen

  • Emitis Pohl und Sahra Wagenknecht: E.Pohl

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