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Fachkräftemangel: Suche vergebens

by Redaktion

Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt verschärft sich weiter

Die Unternehmen in Deutschland sind im Dauerkrisen-Modus. Seit über zweieinhalb Jahren wirkt sich Corona auf die Geschäfte aus, der Krieg in der Ukraine sorgt für rasant steigende Preise für Energieträger. Gleichzeitig fehlt es den Betrieben an Fachkräften, auch wenn führende Wirtschaftsinstitute von einer Rezession ausgehen. Unternehmen suchen weiter verzweifelt nach Personal, finden es aber häufig nicht.

Deutschland hat ein Fachkräfteproblem, und das seit vielen Jahren. Und ein Blick auf den demografischen Wandel verdeutlicht, dass sich die Lage zuspitzen wird. Ein großes Problem dabei ist, dass vor allem der Nachwuchs fehlt. Viele Ausbildungsstellen werden auch in diesem Jahr unbesetzt bleiben, die Bewerbersituation spitzt sich immer weiter zu. Dabei legen sich Unternehmen, Institutionen wie Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern sowie Bund, Länder und Kommunen mächtig ins Zeug, um junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. Doch nimmt die Zahl der Bewerber auch in diesem Jahr weiter ab und gleichzeitig steigt die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze. Viele Betriebe werden auch in diesem Jahr wieder vergeblich auf die Suche nach Azubis gehen und besonders traurig ist, dass die Zahl der Unternehmen, die vergeblich suchen, weiter steigt.

Hilft eine Fachkräftestrategie?

Die Bundesregierung will noch in diesem Herbst eine Fachkräftestrategie beschließen. Ziel ist es, verschiedene Maßnahmen und Gesetze zu verabschieden, um Betriebe bei der Gewinnung und Sicherung von Fachkräften zu unterstützen. „Für viele Betriebe ist die Suche nach Fachkräften schon heute eine existenzielle Frage. Und unser Land braucht Fachkräfte, um die Digitalisierung und den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu stemmen. Dafür brauchen wir jede helfende Hand und jeden klugen Kopf. Als Teil der neuen Fachkräftestrategie wollen wir deshalb eine Ausbildungsgarantie schaffen und die Weiterbildung stärken, indem wir ein Qualifizierungsgeld und die Bildungszeit einführen. Mit einem modernen Einwanderungsrecht sorgen wir außerdem dafür, dass mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu uns kommen. Gemeinsam mit den Unternehmen setzen wir alle Hebel in Bewegung, damit der Fachkräftemangel keine Wachstumsbremse für unser Land wird“, so Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil. Für die Bundesregierung sind fünf Handlungsfelder in ihrer Fachkräftestrategie zentral: zeitgemäße Ausbildung, gezielte Weiterbildung, Arbeitspotenziale wirksamer heben und Erwerbsbeteiligung erhöhen, Verbesserung der Arbeitsqualität und Wandel der Arbeitskultur, Einwanderung modernisieren und Abwanderung reduzieren. „Der Handlungsdruck ist hoch. Unsere Wirtschaft braucht dringend Fachkräfte. Wir müssen gemeinsam mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften und der Politik daran arbeiten, dass wir alle Fachkräftepotenziale nutzen und fördern – die inländischen wie die ausländischen. Wir müssen Aus- und Weiterbildung attraktiver machen und wir müssen uns deutlich stärker für Einwanderung öffnen und gemeinsam dafür werben, dass Deutschland ein weltoffenes Land ist mit interessanten und hochwertigen Arbeitsplätzen“, so Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. „Der Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung, die wir mit der Fachkräftestrategie gemeinsam angehen. Wir brauchen dringend mehr kluge Köpfe und fleißige Hände für Wachstum und Wohlstand in unserem Land. Ein wichtiger Baustein der Strategie ist die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung. Wir wollen damit die berufliche Orientierung ausbauen und insbesondere die Gymnasien stärker einbeziehen, Chancen für berufliches Weiterkommen mit dem Aufstiegs-BAföG gezielt verbessern und mit der beruflichen Begabtenförderung besondere Talente stärker als bislang fördern. Akademische und berufliche Bildung sind unterschiedlich, aber gleichwertig. Beide sind tolle Sprungbretter für ein erfolgreiches Berufsleben. Ebenso wollen wir die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse für Fachkräfte weiter optimieren. Denn wir müssen das Potenzial im Inland heben und gleichzeitig mehr Fachkräfteeinwanderung organisieren“, so Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Viel Angebot, wenig Nachfrage

In jedem Fall gibt es viel zu tun. Ein Blick auf den Ausbildungsmarkt zeigt, dass die Lage für viele Betriebe dramatisch ist. Laut der Agentur für Arbeit meldeten sich zwischen Oktober 2021 und August 2022 408.000 Bewerber für eine Ausbildungsstelle. Das waren 13.000 weniger als im Vorjahreszeitraum. Im August 2022 waren noch 112.000 auf Ausbildungssuche, 76.000 davon hatten bislang weder einen Ausbildungsplatz noch eine Alternative gefunden. Auf die 408.000 Bewerber kamen 526.000 Ausbildungsstellen für das aktuelle Ausbildungsjahr. Das waren 20.000 mehr als noch 2021. 182.000 Ausbildungsstellen waren im August noch nicht besetzt. Auch, wenn die Bundesagentur für Arbeit darauf hinweist, dass im August und im September der Ausbildungsmarkt noch in Bewegung war, werden zahlreiche Stellen leer bleiben. Anfang November 2022 soll Bilanz zum Ende des Berufsberatungsjahres 2021/2022 gezogen werden.

Eine Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zeigt, dass es für Betriebe noch nie so schwierig war, geeignete Azubis zu finden, und das, obwohl die Unternehmen immer größere Anstrengungen unternehmen, um junge Menschen von ihrem Betrieb zu überzeugen. Die Unternehmen suchen Jahr für Jahr mehr Azubis und bieten Lehrstellen an, doch die Zahl der Bewerber sinkt. Am Ausbildungsmarkt hat die Coronapandemie die schwierige Lage nochmals verschärft.

„Mehr als vier von zehn IHK-Ausbildungsbetrieben konnten im vergangenen Jahr nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen – ein Allzeithoch. Und von diesen Unternehmen hat mehr als jedes dritte keine einzige Bewerbung erhalten“, berichtet der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. 15.000 Ausbildungsbetriebe wurden für die Mitte August 2022 veröffentlichte Umfrage befragt. Die Ergebnisse seien alarmierend. Der Anteil der Betriebe, die nicht alle offenen Ausbildungsplätze besetzen können, hat sich zwischen 2018 und 2021 deutlich erhöht und stieg von 32 auf 42 Prozent. In einigen Branchen wie im Gastgewerbe kann nur einer von drei Betrieben alle offenen Lehrstellen für Azubis besetzen. In dem dreijährigen Zeitraum verzeichnete die Industrie (ohne Bau) einen Zuwachs von 17 Prozentpunkten von 33 auf 50 Prozent, im Gastgewerbe stieg die Quote von 56 auf 67 Prozent und in der Transport- und Logistikbranche von 40 auf 54 Prozent. Einzig unternehmensorientierte Dienstleister melden keine Verschlimmerung der Lage. Hier können 26 Prozent der Betriebe nicht alle offenen Ausbildungsstellen besetzen. Immer mehr Betriebe geben als Begründung für die Nichtbesetzung von Ausbildungsstellen an, dass bei ihnen nicht eine einzige Bewerbung eingeht. 2018 galt das für 30 Prozent der Fälle, 2021 waren es 36 Prozent.

Corona verschlimmerte Situation

Dercks führt die größer werdende Schere zwischen Ausbildungsangeboten und der Nachfrage von Jugendlichen unter anderen auf die coronabedingten Einschränkungen zurück. Dies habe Berufsorientierung, Berufsberatung und Ausbildungsplatzsuche erheblich erschwert. Berufsberater der Arbeitsagenturen konnten nicht an die Schulen kommen, Ausbildungsmessen fielen aus, Betriebspraktika mussten immer wieder komplett abgesagt werden. Das hat bei vielen Jugendlichen die Orientierungslosigkeit verstärkt“, bedauert Dercks. Er betont: „Den Unternehmen ist der hohe Stellenwert der Berufsorientierung sehr bewusst. Sie und die Kammern haben bereits während der Pandemie neue digitale Formate entwickelt, um die fehlenden Angebote von Schulen und Arbeitsagenturen bestmöglich abzufedern.“ Die Umfrageergebnisse zeigen zudem, dass das Engagement der Betriebe oft noch deutlich darüber hinausgeht. Drei von vier Ausbildungsbetrieben planen, ihr Angebot in der beruflichen Orientierung künftig auszubauen. 51 Prozent wollen mehr Praktikumsplätze für Schüler anbieten, 38 Prozent der Befragten möchten Veranstaltungen durchführen. Ein Viertel will digitale Informationsangebote stärken und ausbauen.

Um Ausbildungsstellen besetzen zu können, versuchen die Betriebe zunehmend auf die Wünsche und Bedürfnisse der Generation Z bei der Art und Weise der Wissensvermittlung einzugehen. „Jeweils mehr als die Hälfte der Unternehmen haben in den vergangenen Jahren versucht, ihre Ausbildung mit flachen Hierarchien (58 Prozent) und moderner IT-Technik (51 Prozent) attraktiver zu gestalten“, sagt Dercks. Zudem nannten die befragten Unternehmen als Ansätze zur zeitgemäßen Gestaltung häufig: den Einstellungsprozess und finanzielle Anreize (je 37 Prozent), neue Lehr- und Lernkonzepte (27 Prozent), Projekte für Azubis (26 Prozent) sowie Mentorenprogramme (18 Prozent). Eine Rolle spielen ebenfalls mobile und Teilzeit-Ausbildungsangebote sowie Auslandsaufenthalte. Je nach Branche gibt es allerdings Unterschiede, welche Mittel hauptsächlich als Anreize eingesetzt werden, um Azubis für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Mit finanziellen Anreizen versuchen besonders häufig Unternehmen aus dem Baugewerbe (42 Prozent) und dem Gastgewerbe (48 Prozent) junge Mitarbeiter zu gewinnen. „Die Unternehmen haben ihre Türen und Tore weit geöffnet und werben um den Nachwuchs“, fasst Achim Dercks die Stimmung insgesamt über alle Branchen hinweg zusammen. Große Zufriedenheit besteht bei den befragten Unternehmen bei der Aktualität der Ausbildungsinhalte, 94 Prozent der Betriebe gaben an, dass sie der Meinung sind, dass diese auch in Zeiten der Digitalisierung gewährleistet ist. Nur vier Prozent wünschen sich eine Überarbeitung von Berufsfeldern, lediglich zwei Prozent sehen einen Bedarf für ganz neue Berufe.

Betriebe lehnen Ausbildungsgarantie ab

In der Befragung der DIHK wurden die Betriebe auch zur geplanten Ausbildungsgarantie, die der Bund auf den Weg bringen möchte, befragt. Die große Mehrheit der Betriebe lehnt eine Ausbildungsgarantie für Wunschberufe ab (81 Prozent). 43 Prozent äußerten die Sorge, dass außerbetrieblich qualifizierte Azubis nicht dem Bedarf der Praxis entsprechen würden. Zwölf Prozent der Befragten fürchten einen weiteren Rückgang bei Bewerbungen auf ihre offenen Ausbildungsstellen. Darauf, dass schulschwache Jugendliche bei einer Ausbildung im Betrieb bessere Chancen hätten, verweist jedes zehnte Unternehmen. „Die geplante Ausbildungsgarantie sollte im Sinne einer Chancengarantie und des 2014 in der Allianz für Aus- und Weiterbildung vereinbarten ,Pfades in Ausbildung‘ umgesetzt werden“, rät deshalb Achim Dercks: „Unter Beteiligung von Gewerkschaften, Wirtschaft, Bundesregierung, Bundesländern und Bundesagentur für Arbeit wird jedem ausbildungsinteressierten Menschen ein Pfad aufgezeigt, der ihn frühestmöglich zu einem Berufsabschluss führen kann.“ Über die Ausbildungsgarantie sollen Ausbildungssuchende, die bis Ende September eines Jahres keinen Platz finden konnten, drei Angebote für eine betriebliche Ausbildung erhalten, auch wenn diese nicht immer dem Wunschberuf entsprechen werden.

In ihrer Umfrage hat der DIHK erstmals auch die Erfahrungen der Ausbildungsbetriebe mit Blick auf die betriebliche Weiterbildung ausgewertet. Die betriebliche Weiterbildung leistet einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung. 31 Prozent der Befragten sehen bei der Weiterbildung ihrer Belegschaft aktuell keine Hürden. Je nach Unternehmensgröße gibt es aber deutliche Unterschiede. Bei den Ergebnissen fällt auf, je kleiner das Unternehmen ist, desto häufiger werden Probleme bei Weiterbildungsangeboten genannt. 29 Prozent der Betriebe geben aufgrund einer guten Auftragslage mangelnde Zeit für die Weiterbindung ihrer Beschäftigten an. Motivationsprobleme des Personals gaben 21 Prozent an, zudem sind das Finden geeigneter Angebote (20 Prozent) oder komplizierter Fördermodalitäten etwa mit Blick auf die Arbeitsagenturen (18) weitere Herausforderungen, denen sich Unternehmen, die ihre Belegschaft weiterbilden wollen, gegenübersehen. „Berufliche Weiterbildung ist für die Fachkräftesicherung der Wirtschaft ein immer wichtigerer Hebel“, kommentiert Achim Dercks die Zahlen. „Die Betriebe wissen das und leisten hier schon heute viel. Die Politik sollte das große Engagement der Unternehmen und ihrer Mitarbeitenden unterstützen. So sollten etwa die im Koalitionsvertrag angekündigten Verbesserungen beim Aufstiegs-BAföG zügig in Angriff genommen werden.“

(Christian Esser)

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