Interview mit Arbeitgeber Köln

Hier muss die neue Bundesregierung handeln

by Jana Leckel
Gunnar Herrmann, Vorstandsvorsitzender Arbeitgeber Köln e.V.

Der Verband Arbeitgeber Köln e. V. vertritt im Raum Köln ca. 7.000 Betriebe mit etwa 300.000 ArbeitnehmerInnen. Es ist ein Zusammenschluss aus elf Arbeitgeber- und Unternehmensverbänden der Region. Sozial- und wirtschaftspolitische Interessen der Metall- und Elektro- sowie der chemischen Industrie sind vertreten wie auch der Papier- und Zuckerindustrie bis hin zu den KMU im Bereich Bau, Handel und Handwerk. Wir haben den Vorstandsvorsitzenden Gunnar Herrmann und den Geschäftsführer Dirk Wasmuth gefragt, wo die neue Bundesregierung aus ihrer Sicht unbedingt handeln muss.

DIE WIRTSCHAFT: Wie ist die Haltung von Arbeitgeber Köln im Hinblick auf das neue Milliarden-Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur? Führt es Ihrer Meinung nach zur Stärkung des Industrie- und Wirtschaftsstandortes?

Gunnar Herrmann: „Eine schnelle und nachhaltige Stärkung der Verteidigungsfähigkeit anzustreben, ist richtig. Die internationale Lage erfordert es. Wir hoffen auch auf einen industriepolitischen Impuls zur Stärkung der Verteidigungsunternehmen. Sinnvoll sind auch die Investitionen zur Erneuerung der Infrastruktur. Trotzdem hätten wir uns zunächst wachstumsfördernde Reformen sowie eine effizientere Nutzung bestehender Mittel gewünscht, anstatt Schulden in dieser exorbitanten Höhe aufzunehmen. Denn wenn dieses Geld in ineffizienten Strukturen versickert oder im Genehmigungschaos hängen bleibt, haben wir nichts davon.“

Dirk Wasmuth: „Es braucht mehr als schuldenfinanzierte Programme. Wenn schon Sondervermögen, dann für zusätzliche Zukunftsprojekte, für Generationengerechtigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen, die aktuell Investitionsentscheidungen treffen, benötigen zudem klare Signale für einen Politikwechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dazu zählt insbesondere die Senkung von Arbeitskosten, Steuern und Energiepreisen. Es sind also Reformen, Sparmaßnahmen und eine Priorisierung der Staatsausgaben erforderlich. Schulden zur Finanzierung erhöhter konsumtiver Staatsausgaben oder Sozialleistungen sehen wir als unverantwortlich an. Ein Politikwechsel war angekündigt. Mit diesem Papier ist er noch nicht erkennbar.“

DIE WIRTSCHAFT: Was muss passieren, um die digitale Infrastruktur fit zu machen?

Gunnar Herrmann: „Der notwendige Ausbau des Glasfasernetzes funktioniert in Köln richtig gut. Da sind wir in Deutschland mit an der Spitze, zumindest bei der Hardware. Dringend notwendig ist aber vor allem die Digitalisierung der Prozesse im Bereich der Verwaltung. Zudem muss in die Ausbildung und Qualifizierung von Fachkräften investiert werden. Voraussetzung dafür ist Technologieoffenheit für innovative Lösungen.“

DIE WIRTSCHAFT: Was hätten Sie in ein neues Finanzpaket gepackt?

Dirk Wasmuth: „Ganz ehrlich: Wir hätten erst einmal kein neues Finanzpaket geschnürt, sondern die bisherigen Ausgaben aus dem regulären Haushalt geprüft. Gerade bei den sozialen Sicherungssystemen muss Politik ehrlicher werden. Stattdessen im bisherigen Sondierungspapier: Kranken- und Pflegeversicherung, in denen die Finanzen am dynamischsten aus dem Ruder gelaufen sind, werden nur in drei kurzen Sätzen unter Verschiedenes abgearbeitet. In der Rentenpolitik werden mit der Festschreibung des Rentenniveaus und der Mütterrente milliardenschwere Mehrausgaben versprochen, trotz demografischen Wandels und zunehmend leerer Kassen. Schulden aufzunehmen, um den aktuellen Lebensstandard zu finanzieren, ist ein gefährlicher Weg. Stichwort: Schuldenfalle, in der künftige Generationen nicht nur für Investitionen, sondern auch für die Zinsen alter Schulden immer weiter nachfinanzieren müssen. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.“

DIE WIRTSCHAFT: Mit Blick auf die Branchen, die Sie vertreten, was muss die neue Bundesregierung schnell ändern?

Gunnar Herrmann: „Es ist dringend notwendig, international konkurrenzfähige Energiepreise zu erreichen, mit 6 Cent für energieintensive Industrien, Netzentgelten auf 3 Cent und einer Begrenzung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß. Es bedarf eines günstigen Strompreises bis tief in den Mittelstand. Sonst besteht das Risiko, große Teile der industriellen Basis zu verlieren. Nötig sind der Ausbau der erneuerbaren Energien im Rekordtempo, der zügige Ausbau von Stromnetzen und -speichern, die rasche Planung und der Bau von Back-up-Kraftwerken sowie die umfassende Umsetzung von Wasserstoffprojekten. Die neue Bundesregierung muss entscheidende Weichen für unsere Industrie stellen und den Fokus auf folgende Kernbereiche legen: Technologieoffenheit für die Mobilität der Zukunft, Qualifizierung und Gewinnung von Fachkräften, Investitionen in digitale Infrastruktur, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren.“

DIE WIRTSCHAFT: Sie stehen für eine Technologieoffenheit bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft ein. Was fordern Sie genau?

Gunnar Herrmann: „Nachhaltigkeit und technologische Vielseitigkeit. Es braucht eine offene Innovationspolitik, die neben batterieelektrischen Antrieben auch Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) und hybride Lösungen einbezieht. Man muss Unternehmen ermutigen, in unterschiedliche klimafreundliche Technologien zu investieren. Um im globalen Wettbewerb wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze sowie Know-how in der deutschen Automobil- und Zuliefererindustrie zu sichern, sind wirtschaftliche Anreize wie CO-Bepreisung und gezielte Innovationsförderung sinnvoller als starre Vorgaben. Nur durch innovative Technologieoffenheit können Lösungen für Mobilität, erneuerbare Energien, Heizen und Wohnen entwickelt werden, die langfristig zur Erreichung der Klimaziele beitragen.“

Dirk Wasmuth: „Insgesamt wünschen wir uns von der Politik mehr Vertrauen in die Innovationskraft der Unternehmen. Anstelle ideologisch festgelegter Technologien braucht es realistische und strategisch klare Zielvorgaben, die auf fachlicher Expertise basieren und tatsächlich umsetzbar sind. Dies gilt für sämtliche Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität.“

DIE WIRTSCHAFT: Wir brauchen mehr qualifizierte Fachkräfte. Was muss die Bundesregierung Ihrer Meinung nach tun? Was können Sie tun?

Gunnar Herrmann: „Die Ausbildung und Weiterbildung qualifizierter Fachkräfte ist essenziell. Es darf u. a. nicht sein, dass jedes Jahr rund 150.000 Jugendliche ohne Abschluss die Schule verlassen. Zudem: Ohne qualifizierte Zuwanderung können wir unsere wirtschaftliche Stärke nicht halten beziehungsweise zu alter Stärke zurückkehren. Es braucht vereinfachte Prozesse und eine deutlich schnellere Bearbeitung – weg von einer Kultur der Ablehnung, hin zu einem echten „Willkommensprozess“. Ausländische Fachkräfte berichten uns immer wieder, dass Deutschland als Arbeitsstandort an Attraktivität verliert. Hauptgründe sind neben hohen Kosten vor allem bürokratische Hürden, die den Einstieg erschweren – sei es bei der Arbeitserlaubnis, der Wohnungssuche oder der Familiennachholung. Viele verlieren auf diesem Weg die Motivation. Deshalb unterstützen wir die Initiativen zur Schaffung von ,Welcome Centern‘, die den Onboarding-Prozess für internationale Fachkräfte erleichtern und Deutschland wieder zu einem bevorzugten Arbeitsstandort machen.“

DIE WIRTSCHAFT: Wie sieht die Zukunft der Industrie im Raum Köln und in Deutschland aus?

Gunnar Herrmann: „Leider ist das viel zitierte Gespenst der ,Deindustrialisierung‘ schon längst Realität. In Köln ist z. B. der Bereich der industriellen Wertschöpfung gegenüber 12,4 Prozent im Jahr 2000 bei nur noch neun Prozent. Schrecklich, kommt der Großteil der kommunalen Einnahmen doch genau daher. In Deutschland ist der Trend entsprechend. Wir fordern daher schon lange, dass immer an die Wirtschaft zuerst gedacht werden muss. Ohne industrielle Basis werden wir unseren sozialen Staat in dieser Form nicht halten können. Dennoch sehe ich trotz der Herausforderungen viel Potenzial für die Zukunft der Industrie im Raum Köln und in Deutschland – wenn die von uns erwähnten Maßnahmen greifen. Wir müssen gleichzeitig neue Industrien entwickeln und sehr genau in den Bestand schauen, um rechtzeitige Transformationsmaßnahmen zu ergreifen.“

(Karoline Sielski)

Bildquellen

  • Gunnar Hermann: Fotostudio Helle Kammer

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