Das Gefühl, nicht mehr alles sagen zu dürfen, ist auch in der Wirtschaft angekommen. Jede Meinungsäußerung eines Unternehmers oder Managers wird kommentiert, jede Werbekampagne auf vermeintliches Fehlverhalten hin analysiert. Schnell entsteht öffentliche Empörung, werden Bilder oder Aussagen, die einem früher völlig ungefährlich erschienen, skandalisiert. Und dann bricht eine Empörungswelle los, die nur schwer wieder unter Kontrolle zu bringen ist.
Der Shitstorm ist die natürliche Folge des Erfolgs. Man könnte das Phänomen also abtun als neue Form der Neidkultur. Missgunst und üble Nachrede gab es schließlich zu allen Zeiten. Doch so einfach ist es eben nicht. Denn zum einen sind die Folgen heute meist weitreichender als in früheren Zeiten, zum anderen hat die Bosheit zugenommen, mit der Shitstorms organisiert und orchestriert werden. Durch die sogenannten sozialen Medien, in denen jeder kommentieren kann, verbreiten sich Nachrichten nicht nur in Sekundenschnelle, sie rufen auch Interessen- und Aktivistengruppen auf den Plan, die zum Kulturkampf gegen alle Andersdenkenden aufgerufen haben. Das eigene, meist nur vermeintliche Fehlverhalten trifft so nicht mehr nur auf einzelne lokale Neider, Böswillige oder Wettbewerber, sondern auf eine organisierte und hochgerüstete Empörungsindustrie. Die Gegner werden wirkmächtiger. Für ein Unternehmen, das sein Geld nicht mit Meinungsmache verdient, sondern mit realen Produkten oder Dienstleistungen, ist es ein ungleicher Kampf, der sich nur schwer gewinnen lässt – und der zur existenziellen Bedrohung werden kann. Reputation ist für nicht wenige das entscheidende Kapital. Droht es verloren zu gehen, steht viel, wenn nicht alles auf dem Spiel.
Im Fadenkreuz der Empörungsindustrie
Die Gefahr lauert überall. Schließlich kann man als Unternehmen nicht gänzlich aufhören zu kommunizieren. Ein Mindestmaß an Sichtbarkeit muss sein – um die Zielgruppe zu erreichen, Fachkräfte zu gewinnen oder Innovationen zu präsentieren. Zwar ist weniger mehr und ohnehin ist die Marketingwelt viel zu „laut“ geworden. Im Getöse der Werbebotschaften mitzuhalten ist schwer. Doch auch „Silent Selling“ hat seine Tücken und ist nicht für jedes Gewerk eine Lösung. Gleichwohl ist Verzicht die beste Shitstorm-Prävention. Wer nur sehr ausgewählt kommuniziert, sich reduziert und in seinen Aussagen zurücknimmt, minimiert das Risiko, ins Fadenkreuz der Empörungsindustrie zu geraten. Weniger Werbung, weniger Kanäle und eine geringere Lautstärke auf dem Markt machen ein Unternehmen nicht nur exklusiver, sondern auch resilienter.
Gefahren aus dem Inneren
Verzicht allein bietet aber keinen vollständigen Schutz. Die Empörungsindustrie sucht einen Trigger. Und der wird allzu oft gar nicht durch Marketingmaßnahmen gesetzt, sondern durch Feinde im Inneren. Nahezu jeder ist in der Lage, einen Shitstorm zu entfachen. Bereits entlassene oder noch tätige, aber unzufriedene Mitarbeiter, ein Kunde, der sich ungerecht behandelt fühlt, ein Lieferant, dem der Teilrechnungsabzug nicht passt, oder ein Wettbewerber, der seine Chancen mit fairen Mitteln nicht mehr glaubt wahren zu können – jeder, der unzufrieden ist, könnte den Trigger setzen. Medien dazu stehen reichlich zur Verfügung: Von Google My Business über Bewertungsportale und Marktplätze bis hin zu Blogs, Wikipedia und den Kommentarspalten der Tageszeitungen bietet das moderne Internet Raum für Pranger aller Art.
Internet-Pranger gibt es reichlich
Freilich ist nicht jeder schlechte Kommentar gleich ein Shitstorm. Und auch eine leidenschaftliche Debatte in den Social Media, bei der man mit seiner Position in der Minderheit ist, ist keine Katastrophe. Man darf da nicht allzu mimosenhaft sein. Der Grundtenor von Debatten ist generell rauer geworden. Und wer sich in die Öffentlichkeit begibt, muss auch mit Widerspruch und gegebenenfalls harter Kritik leben. Zum Problem wird es erst, wenn aus einer Kritik oder einer Debatte eine Kampagne wird, die über einen einzelnen Diskursraum hinausgeht. Einer schlechten Bewertung bei Google lässt sich begegnen – eine Antwort, und das Thema ist erledigt. Auch eine heftige Diskussion auf X oder Facebook ist so lange kein Problem, wie die Debatte dortbleibt und man als Akteur die Form wahrt. Schließlich ist jede Diskussion auch mal zu Ende. Es gibt kein Recht auf unwidersprochene Aussagen oder gar auf gute Presse.
Orchestrierte Kampagnen
Zum Shitstorm wird etwas erst dann, wenn die üble Nachrede orchestriert und sich selbst verstärkend crossmedial ausgetragen wird, etwa wenn ein Diskurs in den sozialen Medien den Weg in die Tageszeitung findet, ein Blogbeitrag mit Verweis auf eine schlechte Rezension zum Boykott oder zum massenhaften Abstrafen im Google-Profil aufruft, wenn ein X-Post kopiert und zu Reddit transferiert wird, um dort verrissen zu werden, wenn ein Blogbeitrag plötzlich als Quelle bei Wikipedia hinzugefügt wird und sich so ein Edit War entspinnt – und wenn all das die Google-Treffer über das eigene Unternehmen flutet und die Reputation zu zerstören droht.
Spirale der Gewalt
Shitstorms sind eine Form der Gewalt. Und die Gewalt schaukelt sich auf, wird zu einer wahren Gewaltspirale. Deswegen ist es wichtig, die Frühindikatoren zu erkennen und die Spirale möglichst früh zu stoppen. In der Regel sind hierfür externe Profis notwendig, die nicht direkt betroffen sind und auch nicht im Kreuzfeuer stehen und die wissen, was notwendig ist.
Das System durchbrechen
Shitstorms folgen Mustern. Wird eine schlechte Bewertung plötzlich zitiert und zur Quelle in einem Blog? Folgt ein zweiter Blog, der auf den ersten verweist? Sind die Blogs so gut optimiert für Suchmaschinen, dass sie plötzlich relevant bei Google auftauchen? Rufmorde folgen einer Systematik aus Links, Verweisen und Indizienketten, die sich gegenseitig speisen. Wenn aus der wahren Mücke zunächst ein halb wahrer Mückenschwarm und später ein ganzer Elefant wird, an dem nur noch homöopathische Dosen Wahrheit enthalten sind, dann ist der Shitstorm virulent. Spätestens dann sollte man einen Experten zurate ziehen.
Experten zurate ziehen
Experten erkennen zum einen das System und zum anderen die Interessen der Akteure, die dahinterstecken und das System in Gang halten. Letztlich ist ein Shitstorm ein Kommunikationskrieg, der geführt und gewonnen werden muss. Ein solcher Krieg kostet Ressourcen. Wer diese nicht aufbringen kann, hat nicht selten schon verloren. Das ist das Perfide an Rufmorden und Shitstorms – die Lüge ist schnell produziert, die Verteidigung hingegen ist nicht selten aufreibend und teuer.
Umso wichtiger ist es, vorzusorgen und sich zu wappnen. Reputation ist wie ein Girokonto: Nur wer regelmäßig einzahlt, kann auch etwas abheben. Wer sein Konto wegen eines Shitstorms bereits massiv überzogen hat und dann erst mit Kommunikationsmaßnahmen beginnt, hat einen strategischen Nachteil. Deswegen lieber vorher genug soziales Kapital aufbauen. Wer Verbündete im Kommunikationskrieg erst suchen muss, wenn er in der Defensive ist, wird sicher enttäuscht sein. Der Glaube, an dem, was da alles Schlechtes zu lesen ist, wird schon etwas dran sein, macht es schwer, Unterstützer zu finden. Auch das ist das Perfide an einem Shitstorm.
Keine schnellen Botschaften
Verbündete und loyale Wegbegleiter, entsprechende Medienkontakte und Multiplikatoren, Renommee durch gute Veröffentlichungen und ein Krisenplan sollten präventiv vorhanden sein. Auch deswegen schützen Schweigen und Verzicht auf Marketing nicht per se. Es gilt vielmehr, darauf zu achten, dass jede Marketingaktivität die Krisen-Resilienz stärkt – weniger Werbung, mehr generelle Reputation sind dabei entscheidend, wobei jede Maßnahme negative Wirkungen mit bedenken muss. Die schnellen Botschaften in schnellen Medien sind meist nicht die beste Lösung.
Als Sieger vom Platz gehen
Wer einen Shitstorm hat, sollte keinesfalls selbst reagieren. Betroffene neigen zu falschen Rechtfertigungen und Theatralik – die dann wiederum den Shitstorm selbst nährt. Wer betroffen ist, macht Fehler, anstatt aufzuklären. Es ist schwer, sachlich zu bleiben, wenn man mit Lügen und Diffamierungen konfrontiert ist. Das ist der Grund, weswegen Unternehmen Pressesprecher oder externe Kommunikatoren benötigen, die ihrerseits das Drehbuch beherrschen. So wie Shitstorms einem Drehbuch folgen, so folgt auch die Gegenkommunikation einem Drehbuch: aufklären, entlarven, zurückschlagen und am besten sogar am langen Ende profitieren. Shitstorms sind nicht selten eine Katastrophe, aber sie lassen sich oft auch bewältigen. Wer es geschickt anfängt, geht sogar gestärkt aus einem Shitstorm hervor, kann damit gar seine Reputation steigern. Der Weg allerdings ist dornig.
Gastautor:

Falk S. Al-Omary
Falk S. Al-Omary, Medien-Manager und Politikberater bei Al-Omary Medien-Management & Politikberatung
Bildquellen
- Falk Al Omary: Sylke Gall