Mini-Trumps in deutschen Chefsesseln – Wird der Wortbruch zum Geschäftsmodell?

by Redaktion

Die deutsche Wirtschaft leidet an zunehmender Charakterlosigkeit. Die Zahlungsmoral lässt nach, Verträge werden gekündigt, Projekte abgebrochen und Zusagen nicht eingehalten. Diese Klage führen immer mehr Unternehmer und Selbstständige. All diese Verhaltensweisen sind ohne Frage teilweise krisen- und rezessionsbedingt.

Viele Unternehmen sind zu unschönen Entscheidungen gezwungen, wollen oder müssen Kosten senken und sehen in solchen Maßnahmen alternativlose Entscheidungen im Sinne des eigenen Fortbestands. Zudem gilt es als unternehmerische Tugend, Entscheidungen schnell zu treffen und konsequent umzusetzen. Echte Entscheider zögern nicht, sie agieren. Unternehmer sind schließlich keine Unterlasser.

Falsch verstandene Führungsstärke

Was zunächst wie eine Plattitüde aus einem Management-Ratgeber klingt, ist jedoch gefährliche Realität geworden. Zwar ist es wichtig, Entscheidungen zu treffen, insbesondere dann, wenn sie schmerzhaft sind, aber es ist etwas anderes, eine Richtung einzuschlagen und diese dann strategisch, also langfristig zu verfolgen, als sich ständig selbst zu widerrufen. Was viele Unternehmen derzeit praktizieren, ist Geschäftspolitik nach Tageslaune und Nachrichtenlage. Sich ständig umzuentscheiden und dabei die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns außer Acht zu lassen, ist nicht disruptiv oder mutig, sondern offenbart vielmehr ein massives Führungsversagen.

Mafiamethoden oder ehrbarer Kaufmann

Charakter zeigt sich in der Art, wie man Entscheidungen kommuniziert und umsetzt. Rechnungen nicht zu zahlen, obwohl nachgewiesenermaßen die Leistung erbracht wurde, dann aber als Rechnungsempfänger das Gegenteil zu behaupten, um so vom Rechnungssteller Zugeständnisse zu erpressen, ist eine Frage des Charakters und nicht einer krisenhaften Situation. Verträge und Projekte zu beenden ist das Alltäglichste des geschäftlichen Miteinanders. Dies aber fristlos zu tun, ohne saubere Übergabe, ohne Dialog und ohne Rücksicht auf die Beteiligten, zeugt von wenig Anstand. Das ist es, was viele Unternehmer beklagen, die von derartigen Attitüden betroffen sind.

Im Niedergang ist nicht nur die deutsche Wirtschaft selbst, sondern die gesamte Kultur, die sie einmal prägte.

Wer dies als „jammern“ abtut, verkennt, dass dies keine bedauernswerten Einzelfälle sind, die jeder Unternehmer mal erlebt. Nicht alle im Business sind fair. Diese Erfahrung dürfte fast jeder schon mindestens einmal gemacht haben. Derartige Methoden scheinen nun aber normal geworden zu sein, zumindest häufen sich solche Erfahrungsberichte in Chat-Gruppen von Unternehmern und werden zunehmend Thema in Wirtschaftsverbänden. Im Niedergang ist nicht nur die deutsche Wirtschaft selbst, sondern die gesamte Kultur, die sie einmal prägte.

Erratische Führung ist kein Ausdruck von Entschlossenheit

Handschlagmentalität, das „Ein Mann, ein Wort“-Credo, Damen natürlich eingeschlossen, all das scheint verloren gegangen zu sein – nicht erst in der Coronapandemie, sondern schon vorher. Allerdings haben die vielen Krisen und Zerwürfnisse der letzten Jahre diesen Trend beschleunigt. Das „Ich zuerst und vor allen anderen“ hat Konjunktur. Man könnte meinen, in vielen deutschen Chefsesseln säßen Mini-Trumps, die ihren erratischen Führungsstil dann ebenso gerne wie der neue und alte US-Präsident zu Entschlossenheit und Stärke verklären.

Glaubwürdigkeit ist das Fundament

Nein, dies soll kein populäres Trump-Bashing sein. Man kann sehr wohl viele seiner politischen Entscheidungen richtig finden. Und immerhin setzt er das um, was er immer angekündigt hat. Trump hat seine Unberechenbarkeit zum Markenkern erhoben. Wenn er sich umentscheidet, manchmal über Nacht, dann soll die Welt erzittern. Für Unternehmen ist dies aber kein nachhaltiger Führungsstil. Sie leben vom Vertrauen ihrer Kunden und ihrer Beschäftigten, und sie leben davon, dass man sie oder ihre Produkte als Marke wahrnimmt. Marken basieren auf Identitäten, die über Jahre, Jahrzehnte, manchmal gar über Jahrhunderte gewachsen sind. Wer nach Tagesform Entscheidungen trifft, zerstört so sowohl seine Glaubwürdigkeit als auch sein wirtschaftliches Fundament. Marken denken und handeln langfristig, nicht in Wahlperioden oder Konjunkturzyklen.

Charakter kennt keine Wachstums- oder Rezessionsphasen

Sich als Unternehmer oder Führungskraft regelmäßig und kurzfristig umzuentscheiden, ist keine Tugend. Führung ist keine Frage schneller Reaktionen auf politische oder ökonomische Ereignisse, sondern Ausdruck einer Haltung. Und wer seine Haltung aufgibt, der hat auch keine Zukunft. Haltungen und Charakter kennen keine Wachstums- oder Rezessionsphasen, sondern sind Unternehmen und deren Führungskräften wesensimmanent. Mitarbeiter, Kunden und Partner wissen, dass sich der wahre Charakter in der Krise zeigt, und sie belohnen diejenigen, die bei ihren Prinzipien bleiben. Wer sich also rühmt, sich ständig und schnell umzuentscheiden, läuft, je nach Tragweite der Entscheidung und der Art der Umsetzung, Gefahr, als prinzipienlos zu gelten – und damit das eigene Ende einzuläuten.

Made in Germany basiert auf Werten

Unternehmen brauchen mehr denn je eine Strategie, eine Haltung und einen Kompass – und Kooperation statt Konfrontation. Wenn die Rezession vorüber ist, wird man sich derer erinnern, die anständig geblieben sind, die Kurs gehalten haben hinsichtlich ihrer eigenen Überzeugungen. Der Wortbruch darf nicht zum Geschäftsmodell werden. Wenn die deutsche Wirtschaft nicht nur an Innovationskraft verliert, sondern ihr kulturelles Wertegerüst, ihre Identität, die ebenso Teil des „Made in Germany“ war und hoffentlich ist wie Qualität, Präzision und Sorgfalt, dann wird es wahrhaft dunkel in diesem Land.

Über den Autor

Falk S. Al-Omary

Falk S. Al-Omary

Falk S. Al-Omary ist Medien-Manager und Politikberater und arbeitet freiberuflich als Hauptstadtkorrespondent „Der Wirtschaft“. Er begleitet und repräsentiert Unternehmen und Marken bei der Wahrung ihrer Interessen auf dem medialen, politischen und kommunikativen Parkett. www.al-omary.de

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  • Falk Al Omary: Sylke Gall
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