Die Digitalisierung in Deutschland hat im vergangenen Jahr nur minimal zugenommen. Das zeigt der Digitalisierungsindex, den das IW Köln im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erhoben hat. Und dies, obwohl nach Ende der Coronapandemie mit einem Schub der Digitalisierung gerechnet wurde. Nachdem die Digitalisierung besonders im Jahr 2021 Fahrt aufgenommen hatte, wurde sie 2022 stark abgebremst. Der Indexwert stieg lediglich um einen Punkt auf 108,9 Punkte. Das IW Köln spricht daher von einer Stagnation.
Der Index für das Jahr 2022 gibt an, wie sich die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft entwickelt – trotz Coronapandemie und Ukraine-Krieg. Auch untersucht er, ob der Digitalisierungsschub, den viele Experten vorhergesagt haben, tatsächlich eingetroffen ist. Unterteilt wurde hierbei in Branchen, Unternehmensgrößenklassen, Bundeslandgruppen sowie Regionstypen.
Unterschieden wurde zudem zwischen unternehmensinternen und unternehmensexternen Indikatoren der Digitalisierung, die sich wiederum jeweils in fünf Kategorien unterteilen. Zu den unternehmensinternen Indikatoren zählen die Kategorien Prozesse, Produkte, Geschäftsmodelle, Qualifizierung sowie Forschungs- und Innovationsaktivitäten. Die Kategorien der unternehmensexternen Indikatoren sind technische Infrastruktur, administrativ-rechtliche Rahmenbedingungen, Gesellschaft, Humankapital und Innovationslandschaft.
Unternehmensexterne und -interne Kategorien
Im Jahr 2021 galten besondere Rahmenbedingungen durch die Coronapandemie, die insbesondere die Indikatoren der unternehmensexternen Kategorien haben ansteigen lassen. Diese trieben die Digitalisierung an. Im Jahr 2022 fehlte ebendieser Treiber, sodass sie im Schnitt sogar 0,3 Punkte verloren. Die unternehmensinternen stiegen dagegen nur minimal um 0,9 Punkte an.
Den stärksten Anstieg kann man in der unternehmensexternen Kategorie Gesellschaft beobachten. Diese Kategorie zeigt das Interesse der Bevölkerung an digitalen Produkten und Dienstleistungen sowie deren Nutzung. Der Wert hier steigt um 8,8 Punkte auf 122,5 Punkte an. Am stärksten gewachsen seit 2020 ist jedoch die technische Infrastruktur, die mit 122,9 Punkten zudem den höchsten Wert der Kategorie aufweist. Verlierer hier sind das Humankapital mit einem Verlust von 6,0 Punkten sowie die administrativ-rechtlichen Rahmenbedingungen, die 2,8 Punkte verlieren. Den größten Verlust verzeichnet jedoch die Kategorie Innovationslandschaft mit minus 7,9 Punkten.
Dass die Kategorie Gesellschaft deutlich zugenommen hat, liegt vor allem am starken Anstieg des genutzten Datenvolumens. Die technische Infrastruktur kann die Zuwächse auf die bessere Breitbandverfügbarkeit für das Gewerbe zurückführen. Der Rückgang in der Kategorie Humankapital ist vor allem dem Fachkräftemangel in Digitalisierungsberufen geschuldet. Im Vorjahr konnte noch ein Punkteanstieg verbucht werden. Der Abfall in der Kategorie Innovationslandschaft kann darauf zurückgeführt werden, dass es weniger digitale Start-ups gibt.
Bei den unternehmensinternen Kategorien konnte besonders die der Prozesse um 8,3 Punkte zulegen und kommt damit auf 129,5 Punkte. Wie bereits im Jahr 2021 erreicht sie auch dieses Mal den höchsten Wert unter allen Kategorien. Weiter legen die Kategorien Geschäftsmodelle sowie die Forschungs- und Innovationsaktivitäten um jeweils rund einen Punkt leicht zu. Die Kategorie Qualifizierung legt mit 0,1 Punkt lediglich einen Hauch zu. Verlierer bei den unternehmensinternen Kategorien sind die Produkte, die 6,2 Punkte verlieren.
Bei den unternehmensinternen Kategorien wird deutlich, dass die Prozesse in Deutschland zwar digitaler aufgestellt werden, die Produkte und Geschäftsmodell jedoch nicht weiter digitalisiert werden. Hier gehen in beiden Fällen die Werte zurück. Der Digitalisierungsschub im Jahr 2021 hat sich nicht ausgeweitet. Sicherlich trägt das Zusammenwirken aktueller Krisen, wie der Ukraine-Krieg, die Energiekrise, die Inflation etc., dazu bei, dass viele Unternehmen das Thema Digitalisierung nur zögerlich, wenn denn überhaupt angehen.
Nahezu kein Fortschritt in den Branchengruppen
Betrachtet man die zehn Branchengruppen, die zugrunde gelegt wurden, zeigt sich, dass es nahezu keinen Digitalisierungsfortschritt in 2022 gegeben hat. Im Durchschnitt stieg der Index von 104,8 Punkten im Jahr 2021 um magere 0,3 Punkte auf 105,1 in 2022. Auch gibt es keine großen Verschiebungen.
An der Spitze steht erneut die Informations- und Kommunikationstechnologie mit 275,9 Punkten. Auf dem zweiten Platz konnte sich der Fahrzeugbau mit 188,3 Punkten behaupten. Den dritten Platz belegen die unternehmensnahen Dienstleister mit 147,0 Punkten. Am meisten zugelegt hat die Branchengruppe Sonstiges Produzierendes Gewerbe mit 7,4 Punkten auf insgesamt 63,3 Punkte. Allerdings liegt sie damit immer noch am Ende der Rangliste. Verloren hingegen hat der Tourismus, der im Vorjahr noch den höchsten Zuwachs verzeichnen konnte. Er musste mit 7,0 Punkten den stärksten Rückgang der Branchen hinnehmen und muss sich mit 77,4 Punkten begnügen.
Starke Unterschiede in den Unternehmensgrößenklassen
In Bezug auf die drei Unternehmensgrößenklassen zeigen sich insgesamt starke Unterschiede. Während zwei Klassen zunehmen, nimmt eine ab. Erstmals verlieren große Unternehmen ab 250 Beschäftigten Indexpunkte, mit 201,8 Punkten bleiben sie jedoch trotzdem die Unternehmensgrößenklasse mit dem höchsten Digitalisierungsgrad. Mittlere Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten hingegen können einen Anstieg verbuchen und verfügen nun über 124,0 Punkte. Mit 94,8 Punkten bilden kleine Unternehmen mit bis zu 49 Beschäftigten das Schlusslicht und sind zudem nach wie vor am wenigsten digitalisiert.
Stagnierende Entwicklung in den Bundeslandgruppen
Im Jahr 2021 zeigte sich bei den Bundeslandgruppen insgesamt ein deutlicher Zuwachs bei der Digitalisierung. Das Jahr 2022 weist hingegen eine stagnierende Entwicklung auf. Zwei der vier Bundeslandgruppen können eine Zunahme vermelden, zwei jedoch einen Rückgang. Im Vorjahr konnten noch alle Gruppen einen Zuwachs verzeichnen.
Die Bundeslandgruppe Ost (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) konnte die stärksten Gewinne verbuchen. Ihr Indexwert stieg auf 105,5 Punkte. Damit konnte sie ihren letzten Platz aus dem Vorjahr verlassen und stieg auf Platz drei auf. Stattdessen ist nun die Bundeslandgruppe Nord (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg) mit 103,2 Punkten die am schwächsten digitalisierte Bundeslandgruppe im Jahr 2022. Auf dem zweiten Platz liegt die Bundeslandgruppe West (Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland) mit 106,7 Punkten, obwohl sie einen leichten Verlust hinnehmen musste. Unangefochten Spitzenreiter bleibt die Bundeslandgruppe Süd (Bayern und Baden-Württemberg) mit 130,6 Indexpunkten, die einen leichten Anstieg von 1,8 Punkten vermerken konnte.
Leichter Anstieg in den Regionstypen
In den fünf Regionstypen konnten im Jahr 2022 Zuwächse, aber auch Rückgänge bei der Digitalisierung vermeldet werden. Durchschnittlich stiegen die Indexpunkte von 113,8 Punkten im Vorjahr auf 116,5 Punkte in 2022.
Die größten Anstiege können die Kernstädte verbuchen. Hier steigt der Wert von 112,2 in 2021 auf satte 149,6 in 2022. Damit führen sie nun die Rangliste der Regionstypen an. Die bisherigen Spitzenreiter, die Agglomerationen (Ballungsgebiete), stagnieren dagegen und liegen nun mit 134,7 Punkten auf Platz zwei. Während die hochverdichteten ländlichen Räume einen deutlichen Zuwachs von 113,8 auf 122,9 Punkten verzeichnen können und damit auf dem dritten Platz liegen, müssen die verdichteten ländlichen Räume einen Rückgang von 89,3 auf 88,2 Punkte hinnehmen. Sie bilden damit das Schlusslicht unter den Regionstypen.
Die Erhebung macht deutlich, dass der prognostizierte Digitalisierungsschub bisher ausgeblieben ist. Es ist nach Ansicht des IW Köln jedoch durchaus möglich, dass dieser Schub aufgrund des Verschmelzens der verschiedenen Krisen und der nach wie vor bestehenden Ausnahmesituation doch noch ausgelöst wird. Umso wichtiger ist es aus Sicht des IW Köln daher, dass die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung weiter verbessert werden.
(Monika Eiden)
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