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Neue ESA-AstronautInnen trainieren in Köln

Interview mit dem Team Leader der AstronautInnen

by Redaktion
Die neuen AstronautInnen der ESA

Die European Space Agency (ESA) koordiniert und entwickelt die europäische Raumfahrt. 22 Mitgliedsstaaten gehören ihr an. Die ESA bündelt deren Anliegen und deren Wissen, sodass die aufwendigen Raumfahrtprojekte mit vereinten Kräften überhaupt erst möglich werden. Die Zielsetzung der Projekte ist vielfältig — von der Erforschung der Erde, ihres unmittelbaren Umfelds, des Sonnensystems und des Universums über die Entwicklung satellitengestützter Technologien und Dienstleistungen bis hin zur Förderung verschiedener europäischer Hightechindustrien. Das Europäische Astronautenzentrum (EAC) in Köln ist ein Kompetenzzentrum zur Auswahl, Ausbildung, medizinischen Betreuung und Überwachung von AstronautInnen. Hier trainieren die neu ausgewählten AstronautInnen – es sind die Französin Sophie Adenot, die Britin Rosemary Coogan, der Spanier Pablo Álvarez Fernández, der Belgier Raphaël Liégeois und der Schweizer Marco Alain Sieber und zusätzlich Katherine Bennell-Pegg aus Australien. Ihr Team Leader, Rüdiger Seine, hat mit uns gesprochen und uns Einblicke in das Training gegeben. Rüdiger Seine war einer der ersten drei Instruktoren, die 1999 überhaupt von der ESA als solcher eingestellt wurden. Auch der neue Astronaut Marco Sieber hat sich geäußert.

DIE WIRTSCHAFT: Wie oft werden neue AstronautInnen von der ESA zum Training einbestellt?

Rüdiger Seine: Da gibt es keinen regelmäßigen Rhythmus. Es ist ungefähr alle zehn Jahre. Wir wollen häufiger neue Astronauten trainieren, aber das hängt auch von den Fluggelegenheiten ab, sodass wir nicht häufiger neu trainieren. In der 2009er-Auswahl wurde damals Matthias Maurer nachnominiert, der mittlerweile eine Fluggelegenheit hatte.

DIE WIRTSCHAFT: Wie lange trainieren die neuen AstronautInnen jetzt?

Rüdiger Seine: Sie haben am 3. April 2023 begonnen und trainieren bis Ende April nächsten Jahres. Das ist die Grundausbildung. Für die Missionen selbst werden sie danach zwei Jahre trainieren und dann werden sie ein halbes Jahr auf der ISS stationiert sein.

DIE WIRTSCHAFT: Wie viele Männer und Frauen sind in der Gruppe, wie alt sind diese und welche Berufe bringen sie ein?

Rüdiger Seine: In dieser Gruppe sind zwei Frauen und drei Männer, welche zwischen 30 und 45 Jahre alt sind. Die Berufe sind bunt gemischt, da gibt es eine Neurobiologin, einen Astrophysiker, Mediziner, einen Testpilot – die Anforderungsprofile besagen, wir wollen Naturwissenschaftler oder Ingenieure, aber darüber hinaus sind auch ganz andere Dinge von Bedeutung, weil Wissen selbst in der Ausbildung gut vermittelt wird.

DIE WIRTSCHAFT: Welche Voraussetzungen sind das, die noch wichtig sind?

Rüdiger Seine: Wir brauchen Leute mit einer sehr stabilen Persönlichkeit, die Teamgeist haben, Kommunikationsfähigkeiten, eine gute Hand-Augen-Koordination – besonders charakterliche Voraussetzungen müssen also gegeben sein. Wir brauchen Generalisten.

DIE WIRTSCHAFT: Was wird trainiert?

Rüdiger Seine: Zuerst wird das Grundlagentraining durchlaufen. Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Tauchtraining – das Tauchtraining ist die Vorbereitung für die Weltraumspaziergänge. Dazu Foto- und Videotraining, damit wir auch ordentliche Bilder während der Mission bekommen. Die Kommunikation wird geschult, damit man das eigene und das Gruppenverhalten gut bewältigen kann, denn man muss mit so was wie Stress und anderen Kulturen umgehen können. Das sind die Kernkompetenzen und dazu kommt noch Praktisches für die Experimente – wie repariert man Dinge und wie führt man die Experimente durch, dann bekommen sie noch medizinisches Training und Überlebenstraining.

DIE WIRTSCHAFT: Wenn das halbe Jahr der Mission auf der ISS zu Ende ist – wird danach, je nachdem wie das gelaufen ist, entschieden, was weiter mit den AstronautInnen passiert, oder wie wird verfahren?

Rüdiger Seine: Eine Bewertung der Mission wird schon gemacht, aber meistens klappt auch alles. Die weitere Verwendung hängt von weiteren Missionen und Projekten ab. Natürlich gibt es auch ein Mitspracherecht der Astronauten und die Berücksichtigung von Neigungen, wie in anderen Jobs auch. In der 2009er-Gruppe war das Ziel, jeden zweimal fliegen zu lassen, und das hat auch geklappt, hier besteht ebenso das Ziel.

DIE WIRTSCHAFT: Und nun gibt es fünf im Team?

Rüdiger Seine: Eine sechste Person ist mit im Training, das ist eine Frau, die zur australischen Raumfahrt gehört – sie haben uns angefragt, ob sie mit trainieren kann, und wir haben gegen Bezahlung zugesagt. Sie fliegt dann aber bei der australischen Raumfahrt mit.

DIE WIRTSCHAFT: Woran liegt es, dass sie angefragt haben, ob sie hier trainieren kann?

Rüdiger Seine: Australien hat ein sehr junges Raumfahrtprogramm und ist erst im Aufbau. Die Dame ist britische Staatsangehörige und ist im ESA-Programm gewesen. Wir sind erst die dritte Raumfahrtagentur nach USA und Russland, die so ein Training international anbietet.

DIE WIRTSCHAFT: Und Alexander Gerst ist im Training involviert?

Rüdiger Seine: Gerst ist der Mentor der neuen Gruppe. Er erzählt dann unter anderem, was wir von der astronautischen Sicht gelernt haben.

DIE WIRTSCHAFT: Und die AtronautInnen erhalten auch Presse- und Kommunikationstraining?

Rüdiger Seine: Ja, das ist eine britische Privatfirma, die das macht.

DIE WIRTSCHAFT: Kommen die AstronautInnen in Berührung mit den anderen weltweiten Stationen der ESA?

Rüdiger Seine: Im Training erhalten sie einen Überblick über die ESA selbst und einen Überblick über die internationale Raumfahrtszene, zudem stellen sich Raumfahrtagenturen selbst vor, sie kommen vor Ort, aber auch wir fahren zu diversen Zentren zu Besuch.

DIE WIRTSCHAFT: Da haben die AstronautInnen viel Spannendes zu sehen.

Rüdiger Seine: Ja, und es bleibt kaum Zeit für anderes.

ESA-Trainingsstätte

ESA-Trainingsstätte

DIE WIRTSCHAFT: Wie sieht denn so ein Tag im Training aus?

Rüdiger Seine: Der Trainingstag an sich ist schon acht Stunden lang plus Mittagspause. Aber es bleibt nur eine begrenzte Zeit für Dinge nebenbei am Schreibtisch. Wir achten schon darauf, dass auch Freizeit besteht zum Beantworten von E-Mails. Aber man muss das Gehörte aus den Vorlesungen auch nach den Veranstaltungen intensivieren, so wie in jedem Studium.

DIE WIRTSCHAFT: Und Sie sind der Team Leader der Gruppe. Was machen Sie dabei?

Rüdiger Seine: Ich sorge dafür, dass das Training läuft. Am Anfang habe ich zwei Einführungsvorlesungen gehalten, ansonsten mache ich das Management, ich bin Abteilungsleiter.

DIE WIRTSCHAFT: Und was haben Sie für Rückmeldungen von den AstronautInnen bislang bekommen?

Rüdiger Seine: Ein positives Feedback, das Training kommt gut an, es ist Spaß dabei. Die Vorbereitungszeit für das Training war eineinhalb Jahre und es hat sich offensichtlich gelohnt. Alle freuen sich auf die praktischen Sachen. Wenn man den ganzen Tag im Klassenraum sitzt, ist das verständlich. Das Tauchtraining und das Überlebenstraining sind beliebt.

DIE WIRTSCHAFT: Was möchten Sie uns noch mitteilen?

Rüdiger Seine: Wir haben aus 22.000 Bewerbern fünf ausgewählt und das Training ist schon etwas anders als in der Schule und der Uni. Wir wissen durch die gute Vorauswahl sehr genau, dass es alles intelligente Leute sind, die das Training schaffen werden. Wenn einer mal ein Lernziel nicht erreicht, dann sind eher die Lehrer oder das Training schuld und wir müssen dann am Training etwas ändern und anpassen. Wenn einer etwas nicht lernt, dann gibt es eben ein Zusatztraining, wenn etwas hakt. Keiner fällt in dem Sinne erfahrungsgemäß durch. Das wird schon durch die Vorauswahl geregelt.

DIE WIRTSCHAFT: Wird man dann auf Zeit eingestellt?

Rüdiger Seine: Neue Mitarbeiter werden für vier Jahre angestellt, danach wird direkt der Vertrag auf unbegrenzt erweitert. Das gilt für alle ESA-Mitarbeiter. Und es gibt auch sehr viele andere spannende Jobs bei der ESA, nicht nur die AstronautInnen. Zurzeit steht eine Lawine von Pensionierungen bei der ESA an, deswegen wird auch gesucht werden.

Wir wollten noch wissen, was für die Astronautinnen am spannendsten bei dem Astronautentraining ist – und Marco Sieber hat uns geantwortet: „Für unsere Klasse hat das Astronautentraining gerade erst begonnen. Für mich am spannendsten ist wirklich, dass wir in sehr vielen verschiedenen Fächern ausgebildet werden. Wir haben zum Beispiel Unterricht in Biologie und Physik, aber auch in Dingen wie Fotografie oder Überlebenstraining sowie Tauchen und noch vieles mehr. Wir lernen Sachen, die man wahrscheinlich sonst in keinem anderen Beruf in so einer Vielfalt lernen kann.“

Karoline Sielski

Dieses Interview erschien in der Ausgabe DIE WIRTSCHAFT 05.2023

Bildquellen

  • ESA-Trainingsstätte: ESA / S. Corvaja
  • Die neuen AstronautInnen der ESA: ESA / P. Sebirot

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