Wolfgang Bosbach ist ein Urgestein der bundesdeutschen Politik. Trotz seines Ausscheidens aus dem Bundestag im Jahr 2017 haben seine Positionen noch immer Gewicht, seine Stimme wird gehört. Meinungsstark und wortgewaltig bringt sich der CDU-Politiker in die Debatte ein. Im Interview mit DIE WIRTSCHAFT KÖLN spricht er über die neue mediale Debattenkultur, Demokratieherausforderungen, die Veränderungen in den Parteien, die wirtschaftliche Lage und das eigene Lebenswerk.
DIE WIRTSCHAFT: Herr Bosbach, können Sie sich noch an Ihr erstes Interview erinnern? Wann war das und mit wem? Was war das Thema und wie viel Ähnlichkeit gibt es zu den Fragen, die wir heute diskutieren?
Wolfgang Bosbach (lacht): Beim besten Willen nicht! Das müsste vor knapp 50 Jahren gewesen sein, denn so lange bin ich schon politisch aktiv. Damals war ich Vorsitzender der Jungen Union in meiner Heimatstadt Bergisch Gladbach und vermutlich ging es um unser Verhältnis zur Mutterpartei CDU. Als MdB des Rheinisch-Bergischen Kreises habe ich natürlich sofort nach meiner Wahl im Herbst 1994 die ersten Interviews gegeben, eines mit der Überschrift: Unser „neuer Mann“ in Bonn.
DIE WIRTSCHAFT: Sicher spielten zu dieser Zeit die „sozialen Medien“ noch keine große Rolle. Wie haben diese aus Ihrer Sicht die Gesellschaft verändert? Wie die Debattenkultur? Wie das Leben von Politikern und Prominenten? Wenn Sie die Politikkommunikation zu Ihren Anfängen mit den heutigen vergleichen, was hat sich wie verändert?
Wolfgang Bosbach: Da haben Sie mehr recht, als Sie glauben! Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, gab es noch keine Smartphones, jedenfalls keine für das breite Publikum. Die kamen erst Jahre später auf den Markt. Kaum zu glauben, ist aber so. Ich persönlich war zu meiner aktiven MdB-Zeit nur äußerst selten auf Social Media unterwegs, auch heute habe ich nur einen LinkedIn Account – das war’s. Aber durch meine Töchter weiß ich natürlich, welche große Bedeutung X, Facebook, Insta und Co. heutzutage für die Kommunikation haben. Einerseits fantastische Medien für Information und Kommunikation, andererseits ist gerade dort sehr viel zu finden, was für die Menschheit nicht gerade von Nutzen oder auch nur in Spurenelementen bereichernd ist. Vorsichtig ausgedrückt. Für die politische Kommunikation gilt: Meiner Beobachtung nach leidet unter Tempo und Kürze die Qualität der Diskussion. Deshalb bin ich auch ein Fan von Qualitätsmedien. Immer noch sollte gelten: Genauigkeit vor Schnelligkeit, aber im Online-Zeitalter ist das wohl nur ein frommer Wunsch.
DIE WIRTSCHAFT: Sie haben immer starke Positionen vertreten. Braucht es dazu heute mehr Mut oder bestimmte Ressourcen als früher?
Wolfgang Bosbach: Eigentlich nicht. Mut braucht man in Diktaturen, in autoritären Regimen, nicht aber in einer Demokratie. Wichtig ist, dass man nicht nur eine Meinung, sondern auch Ahnung hat! Dass man sachlich gut begründen kann, warum man diese Meinung hat oder jene Haltung einnimmt. Und bei klarer Haltung muss man auch mit Widerspruch und Kritik gut umgehen können. Vielleicht fliehen deshalb nicht wenige in die beliebte Einerseits-andererseits-Rhetorik. Immer in der Hoffnung, es allen recht zu machen. Klappt aber meistens nicht.
DIE WIRTSCHAFT: Heute ist es bei all der Vielfalt der Medien und Mediengattungen paradoxerweise sogar schwieriger, eine vom Mainstream abweichende Meinung zu formulieren, ohne einen Shitstorm zu riskieren. Ist das nur ein Gefühl oder erleben Sie das auch so? Müssen Akteure, gerade weil es so viele Medien gibt, immer „lauter“ werden, immer provokanter? Was läuft gerade schief im öffentlichen und medialen Diskurs?
Wolfgang Bosbach: An dieser Stelle bin ich gar nicht so sehr depressiv unterwegs, denn die meisten argumentieren immer noch ruhig und sachlich, wahrheitsgetreu. Die wollen gar nicht mit Un- oder Halbwahrheiten, mit Krawall und Polemik Aufmerksamkeit erzeugen. Nennen wir mal die Anti-Böhmermänner. Aber es gibt auch die Lauten, die Provokateure und Meinungsmanipulateure. Denen sollte man mit Entschiedenheit begegnen und nicht zu viel Aufmerksamkeit widmen.
DIE WIRTSCHAFT: Was sollten politische Akteure – hierzu zählen neben Funktions- und Mandatsträgern sicher auch Verbandsfunktionäre und Spitzenredakteure der überregionalen Medien – ändern, um der allgemeinen negativen Stimmung entgegenzuwirken?
Wolfgang Bosbach: Die von Ihnen richtigerweise diagnostizierte, allgemein negative Stimmung ist eine Folge einer – leider – gerade ökonomisch sehr negativen Lage. Gerade bei uns in Deutschland. Hinzu kommt eine Fülle von außenpolitischen Entwicklungen, die uns wirklich mit großer Sorge erfüllen müssen, auch wenn sie uns nur mittelbar betreffen. Denn trotzdem haben diese Krisen auch Auswirkungen auf uns. „Die Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen!“, hat einmal ein kluger Kopf gesagt. Wäre auch mein Rat an die Medien.
DIE WIRTSCHAFT: Wie beurteilen Sie die Kommunikation der Ampelkoalition? Wie die Ihrer eigenen Partei?
Wolfgang Bosbach: Die Ampel hatte in letzter Zeit mehr mit sich selbst zu tun als mit der Bewältigung von Problemen, die unser Land belasten. Was willst du da kommunizieren? Für die Union gilt: als Opposition nicht nur auf die Fehler der Regierung hinweisen, schon gar nicht zu Plänen der Regierung NEIN sagen um des Neinsagens willen, sondern immer die besseren politischen Alternativen aufzeigen.
DIE WIRTSCHAFT: Die Wirtschaftslage ist nach Aussage fast aller Wirtschaftsverbände katastrophal. Der Haushalt ist eng. Und Krisen sind überall – national und international. Was kann eine CDU-geführte Regierung überhaupt anders machen? Zu welchen „Zumutungen“ wäre Ihre Partei bereit, um das Land und die Gesellschaft wieder nach vorne zu bringen? Was kann man einer Gesellschaft, die sich derart an Vollkasko und staatliche Fürsorge gewöhnt hat, überhaupt noch zumuten?
Wolfgang Bosbach: Wie viel Platz geben Sie mir? Wieso soll es eine „Zumutung“ sein, das Land ökonomisch wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, die Sozialsysteme dauerhaft zu stabilisieren oder die irreguläre Migration auf ein Maß zu begrenzen, das unser Land nicht überfordert? Ich bin sicher, dass Maßnahmen zur Entbürokratisierung oder zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nicht als Belastung, sondern als Entlastung empfunden werden.
DIE WIRTSCHAFT: Wie konkret lässt sich die Wirtschaft wieder stimulieren, der Staat mit seiner Bürokratie zurückdrängen und wie bekommen die Menschen wieder das Gefühl vermittelt, dass sich Fleiß, Leistung und Eigenverantwortung wieder lohnen? Wer kann einen Kulturwandel dieser Art anführen? Was ist dafür notwendig?
Wolfgang Bosbach: Einige Stichworte habe ich bereits erwähnt, hinzu kommen müsste eine deutliche Reduzierung der viel zu hohen Energie-, insbesondere Stromkosten, nicht nur für die verarbeitenden, energieintensiven Betriebe und eine Unternehmenssteuerreform, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Notwendige Voraussetzung hierfür wäre eine parlamentarische Mehrheit für jene Parteien, die diese Ziele mittragen.
DIE WIRTSCHAFT: Dass die AfD so stark wurde, kommt nicht aus heiterem Himmel. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Hauptursachen? Wer macht die AfD so stark und wie lässt sich das wieder ändern?
Wolfgang Bosbach: Die Frage, wer die AfD „so stark macht“, lässt sich am leichtesten beantworten: alle, die dort bei Wahlen – warum auch immer – ihr Kreuz machen. Nach der Flucht von Prof. Lucke, H. O. Henkel und anderen aus einer immer radikaler werdenden AfD war die Partei zunächst im Sinkflug – dann kam die Flüchtlingskrise 2015/2016, die hat der Partei neuen Auftrieb gegeben. Bei der Bundestagswahl 2021 landete die AfD nur auf Platz fünf. Nach drei Jahren Ampel liegt sie mit der SPD demoskopisch auf Platz zwei. In der Wolle gefärbte Rechtsextremisten, stramme Neonazis werden wir wohl nicht für die demokratische Mitte zurückgewinnen können, aber nicht alle AfD-Wähler würde ich diesen Lagern zurechnen. Deshalb ist es alle Mühen wert, sich um diese Wähler zu bemühen.
DIE WIRTSCHAFT: Was muss sich Ihrer Meinung nach an der politischen Kultur ändern? Wie können Bürger wieder mehr eingebunden und mitgenommen werden, wenn die alten zivilgesellschaftlichen Strukturen wie Parteien, Gewerkschaften, Vereine immer weniger tragen und für gesellschaftliche Begegnungen und Diskurse sorgen?
Wolfgang Bosbach: Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Ich versuche es hier einmal in aller Kürze: Die Politik sollte der Versuchung widerstehen, die Bevölkerung zu erziehen, ständig zu belehren. Insbesondere die Grünen neigen dazu, anderen erklären zu wollen, wie man politisch korrekt leben sollte. Politik sollte erklären, nicht aber belehren.
DIE WIRTSCHAFT: Sie haben kein politisches Mandat mehr, erheben aber dennoch wahrnehmbar Ihre Stimme. Was bewegt Sie noch, aktiv zu bleiben? Welche Rolle werden Sie in Zukunft einnehmen? Was können wir von Ihnen noch erwarten? Und nach welchen Kriterien wählen Sie aktuell aus, woran Sie teilnehmen, was Sie politisch unternehmen oder inhaltlich vertreten?
Wolfgang Bosbach: Ich melde mich nicht ungefragt zu Wort, aber regelmäßig dann, wenn ich darum gebeten werde. So wie hier auch. Ich habe kein Mandat mehr und strebe auch kein neues an – aber ich bleibe natürlich ein politisch interessierter und aktiver Mensch. Ich spreche über das, was politisch besonders relevant und aktuell ist, und natürlich über innenpolitische Themen, das war immer mein Metier.
DIE WIRTSCHAFT: Sie sind Rheinländer mit Leib und Seele. Was kann der Rest der Republik vom Rheinland und von Ihnen lernen?
Wolfgang Bosbach: Vom Rheinland – mer muss och jönne künne und et hät noch immer joot jejange! Von mir – nie an Dingen verzweifeln, die du nicht ändern kannst.
Lesen Sie hier das korrespondierende Interview mit Bernhard Schindler.
(Eugen Weis)
Bildquellen
- Eugen Weis und Wolfgang Bosbach: Alex Weis
- Wolfgang Bosbach: Alex Weis